Tobias Schwaderlapp, Diözesanjugendseelsorger und Rektor von Haus Altenberg, über das diesjährige Motto:
"DIE ZEIT IST REIF"
„Jetzt ist die Zeit der Gnade.“ (2 Kor 6,2)
„ausreißen – niederreißen – aufbauen – einpflanzen“ (Jer 1,10)
Jedes Jahr trifft sich der Initiativkreis, die jungen Erwachsenen, die das Altenberger Licht vorbereiten und gestalten, im Herbst zu einem Klausurtag und überlegt, was wir den vielen jungen Menschen mit auf den Weg geben wollen, die die Nacht in den kommenden Mai mit uns verbringen.
„Nehmt das Licht in beide Hände“ – „Ich bin bei dir, steh auf!“ – „Licht in Sicht“. So lautete das Motto in einigen der letzten Jahre: in den schwierigen Jahren der Pandemie und der vielfältigen Krisen hatten wir gemeinsam das Gefühl, unsere Gäste vor allen Dingen stärken, trösten und ermutigen zu müssen. An vielen Stellen waren wir so angeknackst von den Niederschmetterungen der Welt (und der Kirche), dass wir vor allem die Hoffnung und das Vertrauen schüren wollten: da brennt noch Licht in dir, auch wenn du ein „zerbrechliches Gefäß“ (2023) bist!
Ist die Situation heute anders? Sind die Dinge besser geworden, die Krisen hinter uns? Ganz sicher nicht, eher ist sogar das Gegenteil der Fall. Das müssen wir nüchtern und realistisch anerkennen. Aber was heißt das für uns? Reicht es, dass wir uns gegenseitig salbungsvolle Worte der Hoffnung ins Ohr flüstern, damit wir zumindest nach dem Altenberger Licht nochmal eine ruhige Nacht schlafen können? Nach dem Motto „der liebe Gott wird’s schon richten…?“ Und selbst wenn Gott das tut: welche Rolle spielen wir dabei? „Die Liebe Christi drängt uns“, schreibt Paulus im zweiten Korintherbrief. Wir tragen Verantwortung, wir dürfen uns nicht zurücklehnen, die Zeit drängt. An vielen Stellen war „fünf vor zwölf“ schon gestern. Jetzt, nicht morgen, ist die Zeit anzupacken! Wir haben nicht nur eine Verantwortung für den kleinen Funken Hoffnung in uns selbst. Wir haben eine Verantwortung für die Schöpfung, die Welt, die Gesellschaft, die Kirche. Wir haben eine Berufung zur Welt, für die Welt!
„Ja, aber…“ möchte man einwenden. „Was kann ich da schon ausrichten?“ Stimmt: viele Krisen sind einfach zu groß und zu komplex, als dass ich eine spürbare Veränderung bewirken könnte. Wahrscheinlich ist das so. Die wenigsten haben Macht und Einfluss genug, um direkt an den ganz großen Zahnrädern der Welt zu drehen. Diese Einsicht kann frustrieren. Aber das sollte sie nicht, denn die Mechanik der Welt hat wie ein Uhrwerk auch die kleinen Zahnräder, die ja nicht überflüssig sind, weil sie klein sind. In welches Umfeld greifen die Zacken meines Zahnrads, wo mache ich einen Unterschied? Wo ist der „Nahbereich“ (das Wort fiel bei der Mottosuche immer wieder), an dem ich etwas bewirke? – Dann ist genau das meine Berufung! Die Zeit ist reif!
„Jetzt ist die Zeit der Gnade“, der Satz stammt auch aus dem zweiten Korintherbrief. Wenn wir anpacken und die Welt mit-gestalten und mit-verwandeln, dann tun wir das im Bewusstsein, dass jetzt eine Zeit der Gnade ist, also keine gottverlassene Zeit, keine Zeit, in der wir auf uns allein gestellt sind. Aber allein war uns dieser Satz zu harmlos, deshalb die „Checkliste der Weltveränderung“, die wir bei der Berufung des Propheten Jeremia gefunden haben. Da heizt ihm Gott ein mit den Worten: „Fürchte dich nicht. Denn ich bin mit dir, um dich zu retten. Dann streckte der Herr seine Hand aus, berührte meinen Mund und sagte zu mir: Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund. Sieh her! Am heutigen Tag setze ich dich über Völker und Reiche; du sollst ausreißen und niederreißen, vernichten und einreißen, aufbauen und einpflanzen.“
Was auch immer wir zu tun haben, wohin auch immer unsere Berufung uns drängt: harmlos ist sie nicht – deshalb sind auch wir nicht harmlos, und schon gar nicht machtlos!